Wie kann ein Veranstaltungsort klimaneutral werden? Welche Nachhaltigkeitssiegel und Klimaschutz-Zertifikate gibt es für die Eventbranche? Und wie können Venues und Veranstalter den CO2-Fußabdruck einer Veranstaltung vorab kalkulieren?
Wir haben uns mit Prof. Stefan Luppold, Studiengangsleiter BWL – Messe-, Kongress- und Eventmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Ravensburg, über das Thema Nachhaltigkeit in der Eventbranche unterhalten und einige spannende Aspekte beleuchtet.
Was versteht man unter Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsbranche?
Beim Thema „Nachhaltigkeit in der Eventbranche“ denkt man sofort an Mülltrennung, Ökostrom und die Umstellung auf LED-Beleuchtung. Doch wer klimaneutrale Events organisieren und durchführen möchte, muss u. a. auch folgende Punkte bedenken:
- klimaschonende Gestaltung der Location
- digitale und hybride Veranstaltungskonzepte
- umweltfreundliches Catering mit regionalen und saionalen Produkten
- nachhaltige Lieferketten
- digitale Beschilderung
- Abfallvermeidung
- Wassersparinitiativen
- Förderung einer „grünen Anreise“, z. B. über organisierte Shuttlebusse
Nicht zu vergessen sämtliche Maßnahmen zur sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit.
In dem von unserem Interviewpartner Herrn Prof. Stefan Luppold zusammen mit Herrn Dr. Thorsten Knoll herausgegebenen „Praxis-Guide für Nachhaltigkeit in der Eventbranche (Konzepte und Beispiele für Veranstaltungen mit ökologischer und ökonomischer Ausrichtung)“ finden Veranstaltungshäuser und Veranstalter Inspiration und Best Practices für die Erstellung und Umsetzung von Nachhaltigkeitskonzepten – direkt von ihren Branchenkolleginnen und -kollegen.
Klimaneutrale Eventlocations: Mehr als nur ein Trend
Nachhaltigkeit ist in der Veranstaltungsbranche schon länger ein Thema. „Vor fast zwei Jahrzehnten habe ich mich bereits während einer IMEX mit dem damaligen EVVC-Vorsitzenden über das Thema Nachhaltigkeit ausgetauscht“, so Prof. Luppold.
Mittlerweile habe ein Großteil der Veranstaltungshäuser eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt und setze diverse Maßnahmen um. Allerdings nehme das Thema Nachhaltigkeit bei den Unternehmen der MICE-Branche einen ganz unterschiedlichen Stellenwert ein. „Von „höchste Priorität“ bis zu „da müssten wir auch mal was machen“ ist wirklich alles dabei“, berichtet der Eventexperte.
Locations sollten sich allerdings dessen bewusst sein, dass bei der Wahl des passenden Veranstaltungsortes schlussendlich das Nachhaltigkeitsengagement den Ausschlag gebe. Wenn mehrere Kongresszentren in Frage kämen, die die Anforderungen der Kunden erfüllten, fiele die Wahl laut Prof. Luppold meistens auf den umweltfreundlicheren Veranstaltungsort. Daher sei Kommunikation über die eigenen Nachhaltigkeitsinitiativen von größter Bedeutung.
Veranstaltungsorte müssen klar nach außen kommunizieren können, welche Nachhaltigkeitsinitiativen sie ergreifen und wie sie auf diesem Gebiet bereits aufgestellt sind.Prof. Stefan Luppold
Nachhaltigkeitszertifikate und -siegel für die Eventbranche
Es gibt zahlreiche Nachhaltigkeitszertifikate und -siegel, mit denen Eventlocations und Veranstalter nachweisen können, dass sie sich an einen bestimmten Kodex halten und sich für ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit in der Veranstaltungswirtschaft engagieren. Doch wie behält man bei all den Siegeln und Zertifizierungen den Überblick?

„Wenn man Mitglied in einem Verband ist, ist dies sicherlich die erste Anlaufstelle für Fragen zum Thema Nachhaltigkeit“, so Prof. Stefan Luppold. „Der EVVC Europäischer Verband der Veranstaltungscentren e.V. und das GCB German Convention Bureau e.V. beispielsweise haben zusammen das Projekt „fairpflichtet“ ins Leben gerufen.“ Dieser Nachhaltigkeitskodex gibt Unternehmen der Veranstaltungswirtschaft die Möglichkeit, einen schnellen Einstieg in das Thema zu finden und ihre Nachhaltigkeitsaktivitäten transparent zu dokumentieren. Viele Veranstaltungshäuser sind außerdem Green Globe-zertifiziert.
Prof. Luppold sieht es als Aufgabe der Verbände, eine einheitliche Struktur zu schaffen und einen einfachen, leicht verständlichen Nachhaltigkeitsstandard, wie beispielsweise ein Ampel-Modell, für die Branche zu etablieren.
„Außerdem empfiehlt es sich, mit seinen Kunden zu sprechen und sie zu fragen, was für sie wichtig ist. Ist es eine ISO-Zertifizierung wie beispielsweise ISO 14001 oder können sie mit der Green Globe-Zertifizierung mehr anfangen?“ erläutert er.
Kalkulation des CO2-Fußabdrucks und CO2-Kompensation
Doch wie sieht es aus, wenn schon allein die Natur der Veranstaltung eine emissionsfreie Durchführung nicht möglich macht, beispielsweise im Automobilsport? Können Veranstaltungsprofis in einem solchen Fall überhaupt etwas für das Klima tun?
Hier hat Herr Prof. Luppold folgenden Tipp: „Wo wir Emissionen nicht vermeiden können und das gesamte Nachhaltigkeitspotenzial bereits ausgeschöpft haben, müssen wir einen Ausgleich schaffen, z. B. über ein Regenwaldaufforstungsprojekt.“
Nachhaltiges Veranstalten bedeutet schließlich nicht nur Umweltbewusstsein und Klimaschutz, sondern auch Verantwortung zu übernehmen. Die Größe des Veranstaltungsortes spielt dabei keine Rolle – auch kleine Häuser können mit ihrem Nachhaltigkeitsengagement voll und ganz überzeugen.
Die Stadthalle Reutlingen ist hierfür das perfekte Beispiel: Das kommunale Veranstaltungshaus ist Deutschlands erste Stadthalle, die zu 100% Green Globe-zertifiziert ist. Laut „Praxis-Guide für Nachhaltigkeit in der Eventbranche“ handelt die Location nach den fairpflichtet-Richtlinien und leistet freiwillige CO2-Kompensation für alle Events über myclimate, ein Portal, über das Treibhausgasemissionen von Events berechnet und kompensiert werden können.
Auch das Umweltbundesamt und einige weitere Anbieter stellen CO2-Rechner auf ihren Webseiten zur Verfügung.
Digitalisierung: Online-Konferenz oder Vor-Ort-Veranstaltung?
Auch digitale und hybride Veranstaltungskonzepte leisten ihren Beitrag zum Klimaschutz und werden uns sicherlich noch länger erhalten bleiben. Schließlich ersparen wir uns dadurch oft lange Anreisen und können so unseren CO2-Fußabdruck reduzieren.
Dennoch ist das persönliche Zusammentreffen auf Messen und Konferenzen oft einfach nicht durch eine digitale Erfahrung zu ersetzen: Networking funktioniert „live“ einfach am besten, ganz zu schweigen von den zufälligen Treffen und Situationen, aus denen neue Ideen und Projekte entstehen.
Beispiel gefällig? Im Januar 2020 entstand bei einem Treffen von Prof. Stefan Luppold mit Herrn Dr. Thorsten Knoll, dem Mitherausgeber des Praxis-Guides, auf einem AUMA-Event die Überlegung, gemeinsam ein Buch zum Thema Nachhaltigkeit in der Veranstaltungsbranche herauszugeben, das wirklich „hands-on“ ist. Wäre dieses Buch ohne dieses Treffen auf einer Präsenzveranstaltung überhaupt erschienen? Darüber kann man nur spekulieren.
Voneinander lernen in Sachen Green Events
Anstatt zu versuchen, sich in Sachen Nachhaltigkeit gegenseitig zu übertrumpfen, sollten Veranstaltungsbetriebe die Möglichkeit haben, sich über Energie- und Nachhaltigkeitskonzepte auszutauschen und voneinander zu lernen. Erfreulicherweise ist dieser Trend klar zu erkennen: Auf Konferenzen und über die Verbände sind Event-Profis zu diesen Themen ständig im Austausch miteinander und teilen Best Practices.

„Die Veranstaltungsorte haben vollkommen unterschiedliche Voraussetzungen. Neue Häuser sind schon entsprechend klima- und ressourcenschonend konzipiert und können ganz anders agieren als ältere Veranstaltungsorte. Idealerweise sollten Locations gleich nachhaltig konzipiert werden, um sie nachhaltig betreiben zu können“, erläutert Prof. Luppold. Dennoch könnten alle voneinander lernen und von einem regen Austausch profitieren, so Luppold.
Weniger ist oft mehr: Reduzierte Veranstaltungsformate
Einen wichtigen Gedankenanstoss gibt uns Prof. Luppold noch mit auf den Weg: „Wir müssen wieder lernen, die kleinen Freuden des Lebens zu schätzen und uns vom Gigantismus verabschieden. Durch Corona haben wir uns zurückbesonnen auf das, was wirklich wichtig ist – Dinge wie Zeit für Unterhaltungen oder zum Wissensaustausch.“
Einfachere, entspannte Veranstaltungsformate passten viel besser in die jetzige Zeit und zu unserer Verantwortung für diesen Planeten als Konfettikanonen und quadratmetergroße Buffets, so der Eventexperte.
Das Thema Nachhaltigkeit kann man nicht einfach abschalten. Es wird uns begleiten, denn ansonsten gehen irgendwann die Lichter aus.Prof. Stefan Luppold
Nachhaltigkeit ist und bleibt ein wichtiges Thema, das uns alle gleichermaßen betrifft. Die Klimakrise ist schon in vollem Gange – aber die Veranstaltungswirtschaft kann ihren Teil zu einer nachhaltigeren Zukunft beitragen und vielleicht sogar eine Art Katalysator für andere Wirtschaftszweige werden.
Über Prof. Stefan Luppold
Prof. Stefan Luppold ist Studiengangsleiter BWL – Messe-, Kongress- und Eventmanagement an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Ravensburg.

Nach seinem BWL-Studium mit Schwerpunkt Marketing/Controlling und einigen Jahren Berufserfahrung in der IT-Branche entstand der erste Kontakt zur Veranstaltungsbranche durch seinen Wechsel zu einem Anbieter für Eventsoftware. Danach startete Herr Prof. Luppold seine Hochschulkarriere als Studiengangsleiter Messe-, Kongress-, und Eventmanagement an der Karlshochschule in Karlsruhe, wo er später zum Dekan ernannt wurde. Im Jahr 2011 wechselte er schließlich an die DHBW Ravensburg.
In dem von Herrn Prof. Luppold und Dr. Thorsten Knoll herausgegebenen „Praxis-Guide für Nachhaltigkeit in der Eventbranche (Konzepte und Beispiele für Veranstaltungen mit ökologischer und ökonomischer Ausrichtung)“ berichten Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Segmenten der Veranstaltungsbranche über ihr Nachhaltigkeitsengagement. Das Werk dient Veranstaltungsorten und Veranstaltern als Inspirationsquelle und enthält hilfreiche Praxisbeispiele und praktische Tipps.